PKM-Standard im ÖPNV – Tarife elektronisch abbilden

Hintergrund

Der Ticketerwerb im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erfolgt heute noch weitgehend über Servicestellen, Fahrerverkaufssysteme, Automaten an Haltestellen oder in Fahrzeugen sowie über tragbare Geräte des Servicepersonals. Dennoch werden immer mehr Tickets auch über Smartphones und Webshops angeboten. Seit langem besteht bei Verkehrsverbünden und -unternehmen der Wunsch, die Versorgung dieser unterschiedlichen Geräte und Systeme mit Tarifinformationen auf eine einheitliche und verlässliche Weise vorzunehmen, um Updates künftig deutlich zu vereinfachen.

Bisher sind bei Tarifanpassungen in einer Region oft über eintausend Geräte mit unterschiedlichen Ausprägungen und von mehreren Herstellern zu aktualisieren. Mit der Einführung elektronischer Kontrollen von Tickets, die auf Chipkarten gespeichert oder mit 2D-Barcodes bedruckt sind, müssen auch die jeweiligen Kontrollgeräte mit Tarif-Updates versorgt werden. Die in den Verkaufs- und Kontrollgeräten heute noch existierende Vielfalt proprietärer Schnittstellen, Datenformate und Verarbeitungsabläufe bietet daher ein großes Optimierungspotential. Sie behindert darüber hinaus den Verkauf bzw. die Kontrolle von neuartigen Tarifprodukten, sobald hierfür Anpassungen an eine Gerätesoftware erforderlich werden.

 

Geräteunabhängige Produkt- und Kontrollmodule

Module und Rollen des Systems
Module und Rollen des Systems

Ziel der Forschungsgruppe »Ticketing und Tarife« war es daher, im Auftrag des VDV eTicket Service einen geräteunabhängigen Standard zur elektronischen Abbildung und Verarbeitung beliebiger Nahverkehrstarife zu entwickeln. Grundlage dieses Standards sind Produkt- und Kontrollmodule (PKM), in denen Tarifdaten und die entsprechende Verarbeitungslogik einheitlich und dennoch flexibel konfigurierbar sind. Es kann sich um Daten und Algorithmen zur Erzeugung von Tickets in Verkaufsgeräten (Produktmodule) oder zur Gültigkeitsprüfung von Tickets in Kontrollgeräten (Kontrollmodule) handeln. Aus technischer Sicht sind PKM hochgradig für den Lesezugriff optimierte XML-Dateien, die sich mit minimalem Ressourcenverbrauch im Gerät verarbeiten lassen.

Der Branchenstandard (((eTicket Deutschland unterscheidet in den relevanten Geschäftsprozessen die Rollen Produktverantwortlicher (PV), Kundenvertragspartner (KVP) und Dienstleister (DL). Dementsprechend werden initial von einem Produktverantwortlichen, oft einem Verkehrsverbund, PV-Produktmodule erzeugt.

Ein Kundenvertragspartner, in der Regel ein Verkehrsunternehmen, verkauft Tickets gemäß dem im PV-Produktmodul konfigurierten Tarif. Er bettet hierzu ein oder mehrere PV-Produktmodule in ein KVP-Produktmodul ein. Dabei lassen sich von ihm eigene Informationen hinzufügen. Das KVP-Produktmodul als Ganzes beinhaltet somit die unternehmensspezifisch ergänzten Tarifdaten von einem oder mehreren Produktverantwortlichen, einschließlich der jeweiligen Steueranweisungen an das Verkaufsgerät zur Erzeugung von Tickets.

Analog fasst ein Dienstleister, in der Regel ebenfalls ein Verkehrsunternehmen, alle für ein Kontrollgerät relevanten Tarifinformationen (aus einem oder mehreren Tarifen) in einem DL-Kontrollmodul zusammen, einschließlich der jeweiligen Steueranweisungen an das Kontrollgerät für die Fahrausweisprüfung.

 

Innovation: XML-basierte Fachlogik

Ein Durchbruch gegenüber bisherigen erfolglosen Ansätzen gelang, weil die XML-Dateien erstmals auch die komplette fachliche Verarbeitungslogik für die Tarifdaten, d. h. die maschinenlesbaren Steueranweisungen, enthalten. Dadurch wird es möglich, beispielsweise komplexe Verkaufs- und Kontrollregeln, Algorithmen zum Erzeugen von Druck- und Anzeigetexten sowie von 2D-Barcodes bis hin zu Abläufen an den Bedienschnittstellen des Geräts in einem Produkt- bzw. Kontrollmodul abzubilden. Hierzu wurde eine spezielle, fachbezogene Konfigurationssprache auf der Basis eines abstrakten tarifbezogenen Fachmodells entwickelt.

Die so tariflich konfigurierten XML-Dateien werden von der jeweiligen Gerätesoftware, die als Interpreter wirkt, lediglich abgearbeitet. Ergänzend muss auf dem Gerät eine Softwarebibliothek mit einer standardisierten Funktionsschnittstelle vorhanden sein. Auf diese Weise lässt sich das Geräteverhalten im Wesentlichen durch die im Produkt- bzw. Kontrollmodul abgelegten Funktionsaufrufe an diese Schnittstelle (»call-by-reference«) in Verbindung mit den ebenfalls im Modul konfigurierten Fachdaten steuern. Die eigentliche Gerätesoftware und die Funktionsbibliothek sind grundsätzlich tarifneutral.

Sie können daher vom Hersteller einmalig standardkonform implementiert und für unterschiedlichste Tarife genutzt werden. Der so minimierte geräteseitige Anpassungsaufwand einerseits und die maximale Flexibilität bei der tariflichen Konfiguration andererseits sind überzeugende Vorteile für Hersteller und Verkehrsunternehmen.

Standardisierung und Praxiseinführung

Nach einer fachlichen Kommentierung durch die etwa 20 am deutschen Markt aktiven Gerätehersteller und Systemhäuser wurde die über 700 Seiten umfassende PKM-Spezifikation im Juni 2014 formal in den Branchenstandard (((eTicket Deutschland aufgenommen. In mehreren Nahverkehrsregionen haben Verkehrsverbünde, -unternehmen und Hersteller begonnen, den PKM-Standard einzuführen. Die vom Fraunhofer IVI geschaffene Software »Produkteditor« hat bereits viele Anwender gefunden. Sie beinhaltet alle Funktionen für ein PKM-kompatibles Tarifmanagement und ermöglicht so einen schnellen Einstieg in den PKM-Standard.

 

Die am Fraunhofer IVI entwickelte Lösung entstand unter Mitwirkung folgender Partner:

  • VDV eTicket Service
  • DB Vertrieb
  • Kompetenzcenter EFM beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr
  • Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg